Exkurs: Freie Expansion im Vakuum
Im einleitenden Abschnitt des isentropen Prozesses wurde bereits angedeutet, dass die oft gleichgesetzte Bezeichnung "adiabatischer Prozess" an mancher Stelle irreführend sein kann. Um dies zu verdeutlichen wird im Folgenden die Expansion eines komprimierten Gases gegen ein Vakuum betrachtet.
Man stelle sich hierzu ein Gas in einem Zylinder vor, das mit einem beweglichen (masselosen) Kolben reibungsfrei verschlossen ist. Der Kolben wird zunächst von Hand in Stellung gehalten. Der Zylinder selbst befinde sich in einer evakuierten Kammer oder in den Tiefen des Weltalls, wo ein nahezu perfektes Vakuum herrsche. Zylinder und Kolben sollen perfekt wärmeisoliert sein. Es handelt sich demzufolge um ein adiabates System. Nun wird der Kolben losgelassen und das Gas vergrößert sein Volumen gegen das Vakuum [fahre hierzu mit der Maus über die untere Abbildung].
Interaktive Abbildung: Freie Expansion eines Gases gegen ein Vakuum
Nur weil der vorliegende Zylinder ein adiabates System bildet, bedeutet dies in diesem Fall allerdings nicht, dass die hergeleiteten Gesetzmäßigkeiten des vermeintlich "adiabaten Prozesses" angewandt werden können! So sollte nach diesen Gesetzmäßigkeiten die Temperatur bei einer Expansion mit größer werdendem Volumen sinken (\(T \cdot V^{\kappa-1}\)=konstant). Dies wird bei der vorliegenden Expansion aber allerdings nicht der Fall sein! Das überraschende Ergebnis dieser Expansion zeigt sich, wenn man den ersten Hauptsatz der Thermodynamik zur Hilfe nimmt:
\begin{align}\;\;\;\;\;
\underbrace{W_V}_{=0} + \underbrace{Q}_{=0} = \Delta U = 0
\end{align}
Da es sich um ein adiabates System handelt, erfolgt per Definition zunächst kein Wärmeumsatz (\(Q\)=0). Aber auch ein Arbeitsumsatz des Gases ist im vorliegenden Fall nicht vorhanden (\(W_V\)=0), denn schließlich expandiert das Gas gegen ein Vakuum. Das Gas muss also keinerlei Kraft aufwenden, um den (masselosen) Kolben gegen den nicht vorhandenen Umgebungsdruck zu verschieben - es existiert kein Gegendruck, gegen den das Gas "ankämpfen" muss (siehe hierzu auch das Kapitel Verschiebearbeit). Folglich ist für die Volumenänderung kein Arbeitsumsatz von Seiten des Gases nötig. Wird jedoch weder Wärme noch Arbeit am Gas bzw. vom Gas umgesetzt, so bleibt die innere Energie folglich konstant (\(\Delta U\)=0).
Da die innere Energie direkt mit der Temperatur verknüpft ist (und diese sich nicht ändert), handelt es sich bei der vorliegenden freien Expansion ins Vakuum also um eine isotherme Zustandsänderung! Überraschenderweise bleibt die Temperatur bei diesem Prozess folglich konstant und nimmt nicht ab (dies gilt zumindest für ideale Gase; für reale Gase wird man hingegen eine leichte Temperaturverringerung feststellen - siehe hier Joule-Thomson-Effekt).
Man kann sich diesen isothermen Expansionsvorgang auch ganz anschaulich erklären. Man stelle sich hierzu vor man befände sich in einem Vakuum und hielte wild umherfliegende Teilchen in der Hand. Öffnet man nun die Hand, dann fliegen die Teilchen in das Vakuum und werden letztlich durch keine weiteren Teilchen abgebremst (da der Kolben im oberen Beispiel als masselos betrachtet wird, kann man diesen ohnehin weggedacht vorstellen und die Teilchen frei in das Vakuum strömen lassen). Die Teilchen behalten also ihre kinetische Energie bei. Da die kinetische Energie der Teilchen direkt mit der Temperatur verknüpft ist, beduetet dies letztlich eine unveränderte Temperatur.
Dieses Beispiel macht deutlich, dass sich Zustandsänderungen von adiabaten Systemen nicht notwendigerweise nach den Gesetzmäßigkeiten des isentropen Prozesses beschreiben lassen. Deshalb sollte im Zusammenhang mit den dort hergeleiteten Gleichungen auch nicht unbedingt von adiabatischen Prozessen gesprochen werden. Denn dies suggeriert fälschlicherweise, dass bei allen adiabaten Systemen diese Gleichungen verwendet werden könnten. Das soeben beschriebene Expansionsbeispiel wiederlegt jedoch genau dies.
Es schließt sich natürlich die Frage an, unter welcher Bedingung sich die Zustandsänderung eines adiabates Systems dann tatsächlich durch die hergeleiteten Gleichungen beschreiben lässt bzw. wann eben nicht. Die Antwort hierauf wird im nächsten Abschnitt gegeben.