Nutzarbeit und Verschiebearbeit
Im eingangs beschriebenen Beispiel wurde das Anheben eines Gewichtes mithilfe eines gasgefüllten Zylinders beschrieben (der Vorgang ist in der unteren Abbildung nochmals verdeutlicht). An diesem Beispiel wurde sowohl die Volumenänderungsarbeit sowie bei reibungsbehafteten Vorgängen die Dissipationsarbeit näher erläutert. Neben diesen Arbeitsumsätzen können noch weitere Arbeitsformen unterschieden werden, die für die Beschreibung des Expansionsvorgangs von Bedeutung sind. Dies soll im Folgenden anhand konkreter Zahlenwerte veranschaulicht werden.
Interaktive Abbildung: Anheben eines Gewichtes
Im vorliegenden Fall handelt es sich um ein Gewicht der Masse \(m\)=10 kg, das reibungsfrei um die Höhe \(h\)=6 cm angehoben wird [fahre hierzu mit der Maus über die obere Abbildung]. Hierfür musste eine Wärmemenge von \(Q\)=74,7 J aufgewendet werden, wobei ein Teil hiervon als innere Energie im System verbleibt. Die Änderung der inneren Energie kann dabei anhand der Temperaturänderung des als ideal betrachteten Gases ermittelt werden - sie beläuft sich auf \(\Delta U\)=59,4 J. Nach dem ersten Hauptsatz der Thermodynamik für geschlossene Systeme gibt das System folglich betragsmäßige einen Arbeitsumsatz von \(W_g\)=15,3 J nach außen ab:
\begin{align}\;\;\;\;\;
\label{1}
&\boxed{W_g + Q = \Delta U} \\[5px]
&W_g = \Delta U - Q \\[5px]
&\underline{\underline{W_g}} = 59,4 \text{ J} - 74,7 \text{ J} = \underline{\underline{-15,3 \text{ J}}} ~(=W_V) \\[5px]
\end{align}
Für den reibungsfreien Fall entspricht dieser abgegebene Arbeitsbetrag auch gleichzeitig der Volumenänderungsarbeit \(W_V\) des Gases, welche sich als Fläche unter der Zustandskurve im Volumen Druck-Diagramm ergibt.
Interaktive Abbildung: Energieflussdiagramm
Mit der gegebenen Masse des Gewichtsstückes von \(m\)=10 kg und der Hubhöhe \(h\)= 6 cm ist jedoch eine Hubarbeit von nur 6 J (\(=m \cdot g \cdot h\)) am Gewichtsstück zu verrichten. Wie kann aber bei einer reibungsfreien Betrachtung die Volumenänderungsarbeit und damit die vom System abgegebene Arbeit von \(W_g\) = 15,3 J so viel größer ausfallen als die tatsächlich genutzt Arbeit - wo verbleiben die restlichen 9,3 J [fahre hierzu mit der Maus über die obere Abbildung]?
An dieser Stelle muss bedacht werden, dass das System bzw. das Gas durch seinen Gasdruck (der die Volumenänderungsarbeit ausmacht!) nicht nur gegen die Kraft des Gewichtsstückes Arbeit verrichten muss (6 J) sondern auch noch gegen den äußeren Umgebungsdruck! Schließlich drückt der Umgebungsdruck ebenfalls von außen auf die Kolbenfläche. Den Umgebungsdruck kann man sich durch eine zusätzliche Kraft gedacht vorstellen, gegen die das Gas den Kolben zusätzlich verschieben muss. Dies ist mit einem weiteren Arbeitsaufwand verbunden.
Interaktive Abbildung: Verrichtung von Verschiebearbeit entgegen des Umgebungsdruckes
Mit einer Kolbenfläche von \(A\) = 19,7 cm² (Durchmesser = 5 cm) und einem Umgebungsdruck von \(p_u\) = 1 bar macht dies im vorliegenden Fall eine zusätzliche Kraft von \(F_u\) = 197 N (\(= p_u \cdot A\)) die vom Gas aufgebracht werden muss. Während des Anhebevorgangs schiebt das Gas den Kolben um \(s\) = 4,7 cm gegen diese Umgebungskraft nach vorne. Dies ergibt den fehlenden Arbeitsumsatz von 9,3 J (\(= F_u \cdot s\)), den das Gas beim Anheben ebenfalls noch zu entrichten hat.
Da der oben genannte Arbeitsaufwand durch das Verschieben des Kolbens entgegen des Umgebungsdruckes zustande kommt, bezeichnet man diesen auch als Verschiebearbeit \(W_S\). Derjenige Arbeitsanteil, der für das tatsächliche Anheben des Gewichtes genutzt wird, bezeichnet man dann als Nutzarbeit.
Die vom System abgegebene Arbeit von \(W_g\) = 15,3 J kann also aufgeteilt werden in einen Arbeitsumsatz, der für das Verschieben des Kolbens entgegen des umgebenden Luftdruckes aufgebracht werden muss (Verschiebearbeit \(W_S\) = 9,3 J) und in einen Arbeitsumsatz, der dann tatsächlich für das Anheben genutzt wird (Nutzarbeit \(W_N\) = 6 J).
\begin{align}\;\;\;\;\;
\label{2}
&\boxed{W_g = W_N + W_S} \\[5px]
\end{align}
Abbildung: Nutzarbeit und Verschiebearbeit
Die Verschiebearbeit ergibt sich im Volumen-Druck-Diagramm als Rechteckfläche unter dem Umgebungsdruck von 1 bar. Die Nutzarbeit stellt sich entsprechend als Differenzfläche von Volumenänderungsarbeit und Verschiebearbeit dar (gilt nur für den reibungsfreien Fall!). Beachte, dass die Volumenänderungsarbeit in der Regel aber nicht in Nutzarbeit und Verschiebearbeit aufgeteilt wird, da beide Arbeitsumsätze während der Volumenänderung vom Gas bzw. am Gas erbracht werden müssen und diese somit aus Sicht des Gases unweigerlich zusammengehören. Das Gas kann ja im Übrigen überhaupt nicht unterscheiden, ob es bei einer Expansion lediglich gegen die Gewichtskraft eines aufgebrachten Gewichtsstückes oder gegen die Kraft des äußeren Luftdruckes ankämpfen muss oder eben gegen beides gleichzeitig.
Der Erste Hauptsatz nach Gleichung (\ref{1}) lässt sich in Kombination mit Gleichung (\ref{2}) schließlich auch wie folgt ausdrücken:
\begin{align}\;\;\;\;\;
\label{3}
&\boxed{\overbrace{W_N + W_S}^{W_g} + Q = \Delta U} ~~~~\text{gilt auch für reibungsbehaftete Prozesse!}\\[5px]
\end{align}
Beachte, dass für reibungsbehaftete Prozesse zwar ein Teil der (vergrößerten!) Volumenarbeit \(W_V\) in innere Energie dissipiert (\(W_{Diss}\)), dies ändert jedoch prinzipiell nichts an der Bilanzierung der über die Systemgrenze hinweg transportierten Energie, sodass Gleichung (\ref{3}) auch für solche Fälle Gültigkeit besitzt. Bei gleicher Wärmezufuhr \(Q\) fällt dann lediglich die abgegebene Arbeit \(W_g\) geringer ausfällt bzw. es muss für denselben Arbeitsumsatz mehr Wärme zugeführt werden [fahre hierzu auch mit der Maus über die untere Abbildung].
Interaktive Abbildung: Reibungsbehafteter und reibungsfreier Expansionsvorgang im Vergleich