Dissipationsarbeit
Bei einer Expansion wird vom Gas Volumenänderungsarbeit verrichtet. Diese Arbeit lässt bspw. im eingangs erläuterten Fall einen Kolben mit einer entsprechenden Kraft ausfahren. Die Volumenänderungsarbeit entspricht bei einer Expansion also jenem Arbeitsumsatz, den das Gas aufgrund seines Druckes verrichtet. Die Volumenänderungsarbeit \(W_V\) muss allerdings nicht zwangsweise auch dem Arbeitsumsatz \(W_g\) entsprechen, den das System dann über den Kolben nach außen abgibt. Dies wird lediglich bei einem reibungsfreien Vorgang der Fall sein. Tritt hingegen Reibung zwischen Kolben und Zylinderwand auf, so wird nicht mehr die gesamte Volumenänderungsarbeit nach außen an den Kolben abgegeben [fahre hierzu mit der Maus über die untere Abbildung]. Ein solcher reibungsbehafteter Prozess soll im Folgenden näher betrachtet werden.
Interaktive Abbildung: Energieflussdiagramm einer reibungsfreien Expansion
Für den Fall dass Reibung zwischen Kolben und Zylinderwand herrscht, schiebt der Gasdruck zwar den Kolben mit jener Volumenänderungsarbeit aus die sich als Fläche unter der Zustandskurve im Volumen-Druck-Diagramm ergibt. Dieser Arbeitsumsatz kommt allerdings nicht vollständig an der Kolbenstange an, da ein Teil dieser Volumenänderungsarbeit ("Ausschiebearbeit") salopp formuliert durch Reibung "verloren" geht. Das System gibt bei reibungsbehafteten Vorgängen also nicht mehr die gesamte vom Gas erbrachte Volumenänderungsarbeit \(W_V\) nach außen ab sondern nur jenen Teil abzüglich der im Inneren aufzuwendenden Reibungsarbeit \(W_{Diss}\) [fahre hierzu mit der Maus über die obere Abbildung oder betrachte die untere Abbildung ]:
\begin{align}\;\;\;\;\;
\label{1}
&\boxed{W_g = W_V + W_{Diss}} ~~~\text{nach außen über die Systemgrenze abgegebene Arbeit}
\end{align}
Man darf sich an dieser Stelle nicht vom Pluszeichen in der Gleichung verwirren lassen! Dieses ergibt sich aufgrund der Vorzeichenkonvention. So wird bei einer Expansion die negative Volumenänderungsarbeit \(W_V\) durch die positive Reibungsarbeit \(W_{Diss}\) betragsmäßig verringert. Es verbleit somit nur noch ein geringerer (negativer) Arbeitsumsatz \(W_g<0\), der nach außen abgegeben wird.
Interaktive Abbildung: Energieflussdiagramm einer reibungsbehafteten Expansion
Wenn das Gas im reibungsbehafteten Fall also eine größere Volumenänderungsarbeit erbringt als nach außen abgegeben wird, wohin verschwindet dann der Restbetrag, d.h. die Reibungsarbeit \(W_{Diss}\)?
Die Reibungsarbeit verbleibt letztlich als zusätzliche innere Energie im System. Dies lässt sich in der Praxis daran erkennen, dass reibungsbehaftete Prozesse mit größeren Temperaturen verbunden sind als reibungsfreie Vorgänge [fahre hierzu mit der Maus über die obere Abbildung]. Beachte, dass bei idealen Gasen die innere Energie direkt mit der Temperatur verknüpft ist. Eine höhere innere Energie bedeutet somit immer auch eine höhere Temperatur!
Umgangssprachlich würde man an dieser Stelle wahrscheinlich eher sagen: "Reibung wird in Wärme umgewandelt und sorgt somit für höhere Temperaturen bei reibungsbehafteten Vorgängen". Diese Aussage ist aufgrund des falsch verwendeten Wärmebegriffs zwar fachsprachlich nicht korrekt, bringt es bezüglich der Temperaturerhöhung jedoch auf den Punkt. Fachsprachlich korrekt muss die Aussage lauten, dass Reibungsarbeit der inneren Energie des Gases zugutekommt und damit die Temperaturerhöhung bewirkt! Die Reibungsarbeit wird sozusagen in innere Energie "zerstreut". Deshalb bezeichnet man die Reibungsarbeit auch ganz allgemein als Dissipationsarbeit \(W_{Diss}\) (vom Lateinischen "dissipare" für „zerstreuen“).
Interaktive Abbildung: Energieflussdiagramm einer reibungsbehafteten Expansion
Beachte, dass die erhöhte innere Energie bei reibungsbehafteten Vorgängen stets größere Temperaturen und damit auch höhere Drücke zur Folge haben. Dementsprechend erhöht sich das Druckniveau während der Expansion und führt somit schließlich zu einer größeren Volumenänderungsarbeit im Vergleich zum reibungsfreien Fall. Vergleiche hierzu die Flächen unter den Zustandskurven für den reibungsfreien bzw. reibungsbehafteten Expansionsvorgang, welche jeweils die Volumenarbeit veranschaulichen!
Die größere Volumenänderungsarbeit bei der reibungsbehafteten Expansion darf an dieser Stelle aber nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass diese ja nicht im vollen Maße nach außen abgegeben wird. Nach außen abgegeben wird nur jener Teil der Volumenänderungsarbeit welcher abzüglich der Dissipationsarbeit übrig bleibt. Trotz höherer Volumenarbeit wird im reibungsbehafteten Fall also stets ein geringerer Energiebetrag nach außen abgegeben als im reibungsfreien Fall [fahre hierzu mit der Maus über die obere Abbildung].
Gleichung (\ref{1}) gilt im Übrigen nicht nur für einen Expansionsvorgang sondern auch für einen Kompressionsvorgang. So bringt diese Gleichung vorzeichenrichtig zum Ausdruck, dass bei einer reibungsbehafteten Kompression mehr Arbeit \(W_g>0\) von außen aufgewendet werden muss im Vergleich zum reibungsfreien Fall. Denn dann muss nicht mehr nur das Gasvolumen entgegen des Gasdrucks komprimiert werden (Volumenänderungsarbeit \(W_V>0\)) sondern es muss zusätzlich auch noch die Reibungsarbeit \(W_{Diss}>0\) aufgewendet werden. Positive Volumenänderungsarbeit und positive Reibungsarbeit ergeben somit eine größere Arbeit \(W_g>0\), die dem System von außen zuzuführen ist. Auch hierbei wird die Reibungsarbeit \(W_{Diss}\) wieder in innere Energie dissipiert, was zu einer höheren Temperatur im Vergleich zum reibungsfreien Fall führt.
Diese Betrachtungen machen deutlich, dass Dissipationsarbeiten stets die innere Energie eines Gases erhöhen; unabhängig davon ob es sich um einen Expansionsvorgang oder um einen Kompressionsvorgang handelt. Deshalb gehen Dissipationsenergien grundsätzlich immer mit einem positiven Vorzeichen in die Energiebilanzierung ein!
Im vorherigen Kapitel wurde der erste Hauptsatz der Thermodynamik für geschlossene System in folgender Form erläutert:
\begin{align}\;\;\;\;\;
\label{0}
&\boxed{ W_g + Q = \Delta U} ~~~\text{gilt allgemein} \\[5px]
\end{align}
Unter Berücksichtigung der Volumenänderungsarbeit \(W_V\) und der Dissipationsarbeit \(W_{Diss}\) nach Gleichung (\ref{1}) kann der Erste Hauptsatz schließlich auch wie folgt ausgedrückt werden:
\begin{align}\;\;\;\;\;
\label{2}
&\boxed{W_V + W_{Diss} + Q = \Delta U} ~~~\text{gilt allgemein} \\[5px]
\end{align}
Unter Vernachlässigung von Dissipationsarbeit (\(W_{Diss}=0\)), insbesondere der Reibungseffekte, kann der Erste Hauptsatz der Thermodynamik lediglich durch die Volumenänderungsarbeit des Gases beschrieben werden:
\begin{align}\;\;\;\;\;
\label{3}
&\boxed{W_V + Q = \Delta U} ~~~\text{gilt nur reibungsfreie Prozesse} \\[5px]
\end{align}
Beachte, dass nur unter der Voraussetzung eines reibungsfrei ablaufenden Prozesses (\(W_{Diss}=0\)) die Volumenänderungsarbeit \(W_{V}\) auch tatsächlich der vom bzw. am System umgesetzten Arbeit \(W_g\) entspricht.
Weitere Informationen zu reibungsbehafteten Vorgängen finden sich im Abschnitt Reibungsbehaftete Prozesse wieder. Im nächsten Abschnitt wird auf die Dissipationsarbeit noch etwas näher eingegangen.