Expansion mit Reibung
Im vorherigen Abschnitt wurde erläutert, dass sich bei einer reibungsbehafteten Kompression eines adiabaten Systems die von außen zuzuführende Arbeit \(W_g\) aus der Summe von Volumenänderungsarbeit \(W_V\) und Reibungsarbeit \(W_{Diss}\) (Dissipationsarbeit) ergibt:
\begin{align}\;\;\;\;\;
\label{7481}
\boxed{W_{g} = W_{V}+W_{Diss}}
\end{align}
Der erste Hauptsatz lässt sich somit für reibungsbehaftete Kompressionsvorgänge wie folgt darstellen:
\begin{align}\;\;\;\;\;
\label{9007}
&W_g + Q = \Delta U \\[5px]
&\boxed{\underbrace{W_{V} + W_{Diss}}_{W_g} + Q = \Delta U}\\[5px]
\end{align}
Diese Gleichungen gelten jedoch nicht nur für einen Kompressionsvorgang sondern auch für einen reibungsbehafteten Expansionsvorgang wie im Folgenden erläutert werden soll.
Hierzu wird ein komprimiertes (und damit unter hohem Druck stehendes) Gas in einem Zylinder betrachtet, welches im Ausgangszustand eine hohe Temperatur besitzt. Der Zylinder ist mit einem Kolben verschlossen. Wird der Kolben nun losgelassen dann schiebt das Gas den Kolben unter Volumenvergrößerung mit entsprechendem Arbeitsaufwand aus. Für den reibungsfreien Fall wird die entstehende Kraft auf den Kolben aufgrund des herrschenden Gasdruckes unmittelbar nach außen abgegeben. Somit entstammt die nach außen abgeführte Arbeit \(W_g\) vollständig der Volumenänderungsarbeit \(W_V\) des Gases. Die innere Energie des Gases senkt sich entsprechend um den abgeführten Energiebetrag - die Temperatur verringert sich.
Interaktive Abbildung: Expansion eines Gases in einem adiabaten System
Im reibungsbehafteten Fall wird die vom Gas erbrachte Volumenänderungsarbeit, allerdings nicht mehr vollständig nach außen abgegeben, denn ein Teil der Volumenänderungsarbeit des Gases wird für das Überwinden der Reibung zwischen Kolben und Zylinderwand benötigt. Die nach außen abgegebene Arbeit ist folglich um jenen Betrag geringer [fahre hierzu mit der Maus über die obere Abbildung].
Die Zustandsänderung des Gases vollzieht sich bei der reibungsbehafteten Expansion auf einem höheren Druckniveau im Vergleich zum reibungsfreien Fall. Das höhere Druckniveau ergibt sich aus der Tatsache, dass die vom Gas aufgebrachte Reibungsarbeit zurück in innere Energie dissipiert wird. Dies führt zu einer erhöhten Temperatur im Vergleich zum reibungsfreien Fall. Damit verbunden ist auch ein entsprechend höherer Druck während der Expansion. Im \(p(V)\)-Diagramm verläuft die Zustandsänderung im Reibungsfall folglich oberhalb deren für den reibungsfreien Fall [fahre hierzu mit der Maus über die obere Abbildung und entferne sie anschließend wieder - mit F5 Interaktion neu starten].
Abbildung: Expansion eines Gases in einem adiabaten System
Beachte, dass die vom Gas erbrachte Volumenänderungsarbeit \(W_V\) bei reibungsbehafteten Expansionen größer ist im Vergleich zu reibungsfreien Vorgängen (vgl. Fläche unter den Kurven). Die größere Volumenänderungsarbeit kommt aufgrund des höheren Gasdrucks zustande, mit dem der Kolben verschoben wird. Dieser größere Arbeitsumsatz dringt jedoch nicht nach außen, da mit diesem Arbeitsumsatz ja auch noch die Reibungsarbeit aufgebracht wird. Abzüglich der Reibungsarbeit \(W_{Diss}\) tritt dann nur noch ein wesentlich geringerer Teil der Volumenänderungsarbeit \(W_V\) auch tatsächlich nach außen (=\(W_g\)).
Abbildung: Volumen-Druck-Diagramm einer reibungsbehafteten Kompression
Die Dissipationsarbeit darf an dieser Stelle also nicht gleichgesetzt werden mit der Verlustarbeit im Vergleich zu einem reibungsfreien Vorgang! Denn die Dissipationsarbeit wird ja in innere Energie umgewandelt und trägt somit dazu bei, dass das Gas nun mehr Energie besitzt und deshalb auch wiederum mehr Arbeit verrichten kann (mehr Volumenänderungsarbeit). Für einen reibungsbehafteten Expansionsvorgang ist also die Verlustarbeit im Vergleich zu einem reibungsfreien Prozess geringer als die Dissipationsarbeit! Bei der Kompression ist dies umgekehrt: für einen reibungsbehafteten Kompressionsvorgang ist der Mehraufwand im Vergleich zum reibungsfreien Prozess größer als die Dissipationsarbeit.
Bei genauerer Betrachtung und unter Berücksichtigung der Vorzeichenkonvention zeigen sich nun bei der Expansion dieselben energetischen Verhältnisse wie bei der Kompression [siehe Gleichung (\ref{7481})]:
\begin{align}\;\;\;\;\;
\label{7685}
&W_g = W_V + W_{Diss} \\[5px]
\end{align}
Die Volumenänderungsarbeit \(W_V\) wird vom Gas verrichtet und zählt deshalb mathematisch negativ. Die positive Reibungsarbeit \(W_{Diss}\) verringert betragsmäßig diesen negativen Wert entsprechend, sodass nur ein geringerer negativer Arbeitsumsatz \(W_g\) nach außen abgegeben wird. Deshalb entspricht auch an dieser Stelle die Summe aus (negativer) Volumenänderungsarbeit \(W_V\) und (positiver) Reibungsarbeit \(W_{Diss}\) der vom Gas nach außen abgegebenen (negativen) Arbeit \(W_g\).
Auch an dieser Stelle muss wieder bedacht werden, dass die vom Gas nach außen abgegebene Arbeit \(W_g\) auch noch dazu genutzt wird, den Kolben entgegen des umgebenden Luftdruckes zu verschieben (Verschiebearbeit \(W_S\)). Erst abzüglich dieser Verschiebearbeit, erhält man die effektiv über die Kolbenstange abgegebene Arbeit \(W_K\) ("Nutzarbeit"):
\begin{align}\;\;\;\;\;
\label{7560}
W_K = W_{g}-W_S
\end{align}
Abbildung: Verschiebearbeit bei einer reibungsbehafteten Expansion
Sofern es sich um ein adiabates System handelt führt alleine die nach außen abgeführte Arbeit \(W_g\) zu einer Erniedrigung der inneren Energie \(\Delta U\) des Gases. Treten hingegen zusätzlich Wärmeumsätze \(Q\) über die Systemgrenze hinweg auf, so tragen auch diese ebenfalls zur Änderung der inneren Energie \(\Delta U\) bei. Die Formulierung des Ersten Hauptsatzes der Thermodynamik ist für einen reibungsbehafteten Expansionsvorgang somit identisch wie für den Kompressionsvorgang [siehe Gleichung (\ref{9007}) - siehe hierzu auch das Kapitel Dissipationsarbeit].
\begin{align}\;\;\;\;\;
\label{6856}
&W_g + Q = \Delta U \\[5px]
&\boxed{\underbrace{W_{V} + W_{Diss}}_{W_g} + Q = \Delta U}\\[5px]
\end{align}
Abbildung: Erster Hauptsatz für reibungsbehaftete Prozesse
Anhand der Gleichung (\ref{6856}) bzw. (\ref{9007}) wird nochmals deutlich, dass der größere Arbeitsumsatz \(W_g\)>0 bei einer reibungsbehafteten Kompression unweigerlich zu einer stärkeren Erhöhung der inneren Energie \(\Delta U\) des Stoffes führt. Dies führt zu dem bereits erläuterten Effekt der verstärkten Temperaturerhöhung im Vergleich zum reibungsfreien Fall, sofern der größere Arbeitsumsatz nicht durch eine entsprechende Wärmeabfuhr \(Q\)<0 kompensiert wird!
Umgekehrt wird bei einer reibungsbehafteten Expansion ein geringerer Arbeitsumsatz \(W_g\)<0 nach außen abgegeben, sodass die innere Energie nicht so stark sinkt. Auch damit lässt sich der bereits erklärt Sachverhält verstehen, dass bei reibungsbehafteten Expansionsvorgängen die Temperaturabnahme nicht so stark ausfällt, sofern das System nicht gekühlt wird.