Technische Arbeit
Bei den bisherigen Betrachtungen beschränkte sich der Arbeitsumsatz von offenen Systemen (z.B. von Verdichtern oder Pumpen) auf die Druckänderungsarbeit. Es wurde also davon ausgegangen, dass das offene System lediglich für das Durchschieben des Stoffes (Verschiebearbeit) und für die Volumenänderung des Stoffes (Volumenänderungsarbeit) Arbeit aufbringen muss, d.h. insgesamt die Druckänderungsarbeit \(W_D\):
\begin{align}\;\;\;\;\;
\label{7410}
W_D = \int\limits_{p_1}^{p_2}V(p)~\text{d}p
\end{align}
Im Allgemeinen zeigt ein offenes System jedoch noch weitere Arbeitsumsätze, die es zu erbringen hat. Diese hängen unter anderem auch von der Wahl der Systemgrenzen ab. Die weiteren Arbeitsumsätze sollen am Beispiel der bereits betrachteten Wasserpumpe erläutert werden.
Interaktive Abbildung: Kontinuitätsbedingung eines offenen Systems
Zunächst wird der Schlauchanschluss am Pumpenausgang im Vergleich zum -eingang verringert. Aufgrund der Kontinuitätsbedingung (Massenerhaltung) muss allerdings durch den verringerten Ausgangsquerschnitt nach wie vor dieselbe Wassermasse strömen wie durch Eingangsquerschnitt. Da der Pumpenausgang jedoch kleiner ist, muss die dortige Wassermasse folglich mit höherer Geschwindigkeit hindurchströmen [fahre hierzu mit der Maus über die obere Abbildung]. Nur so kann in derselben Zeit dieselbe Wassermasse wie am Eingang hindurchströmen (dieses Phänomen zeigt bereits die Alltagserfahrung - drückt man einen offenen Gartenschlauch am vorderen Ende zusammen und verringert dadurch den Querschnitt, so wird das Wasser mit größerer Geschwindigkeit ausströmen und gelangt folglich weiter).
Demnach muss die Wassermasse \(m\) beim Hindurchströmen durch die Pumpe von der Einströmgeschwindigkeit \(c_1\) auf die Ausströmgeschwindigkeit \(c_2\) beschleunigt werden. Die Pumpe hat zusätzlich zur Druckänderungsarbeit \(W_D\) also auch noch die Beschleunigungsarbeit \(W_B\) aufzuwenden:
\begin{align}\;\;\;\;\;
\label{6723}
\boxed{W_B = \tfrac{1}{2}~m~\Delta c^2} ~~~\text{mit}~~~ \Delta c^2 = c_2^2 - c_1^2
\end{align}
Interaktive Abbildung: Beschleunigungsarbeit im offenen System
Anmerkung: Bei identischen Ein- und Ausgangsquerschnitte muss für inkompressible Medien wie Flüssigkeiten keine Beschleunigungsarbeit aufgewandt werden, da sich hierbei die Geschwindigkeiten nicht ändern werden. Bei kompressiblen Medien wie Gasen wird sich die Durchströmgeschwindigkeit jedoch auch bei gleichen Ein- und Ausgangsquerschnitten ändern! Denn schließlich wird hierbei die betrachtete Gasmasse mit deutlich unterschiedlichem Volumen ausgeschoben, was wiederum andere Geschwindigkeiten bedingt um den Massenstrom konstant zu halten.
Zusätzlich zur Verringerung der des Ausgangsquerschnitts wird die Pumpe nun nicht mehr waagrecht sondern etwas schräg ausgerichtet. Der Pumpenausgang liegt folglich etwas höher als der Pumpeneingang. Diese Schrägstellung bedingt an dieser Stelle einen weiteren Arbeitsaufwand der Pumpe.
Interaktive Abbildung: Hubarbeit im offenen System
Der Höhenunterschied zwischen Ein- und Ausgang der Pumpe führt dazu, dass das Wasser nicht mehr einfach nur entgegen der Druckunterschiede durch die Pumpe durchgeschoben werden muss. Zudem muss die hindurchströmende Wassermasse \(m\) entgegen der Schwerkraft um die Höhendifferenz \(\Delta z\) (=\(z_2-z_1\)) angehoben werden. Die Pumpe muss folglich auch noch Hubarbeit \(W_H\) verrichten:
\begin{align}\;\;\;\;\;
\label{2735}
\boxed{W_H = m~g~\Delta z} ~~~\text{mit}~~~ \Delta z = z_2-z_1
\end{align}
Das Durchströmen der Wassermasse durch die Pumpe wird in der Realität nicht reibungsfrei ablaufen. Schließlich werden die Wassermassen an der Innenwandung der Pumpe reiben. Und auch die Reibung in den Lagern muss zusätzlich überwunden werden. Folglich muss die Pumpe auch noch diese Reibungsarbeit \(W_{Diss}\) (Dissipationsarbeit) aufbringen.
All die oben genannten Arbeitsumsätze, d.h. die Summe aus
- Druckänderungsarbeit \(W_D\) (= Verschiebearbeit + Volumenänderungsarbeit),
- Beschleunigungsarbeit \(W_B\),
- Hubarbeit \(W_H\) und
- Dissipationsarbeit \(W_{Diss}\) (Reibungsarbeit),
müssen von der Pumpe aufgewendet werden. Man könnte in diesem Fall zwar von Pumpenarbeit reden, jedoch muss es sich bei einem offenen System nicht immer um eine Pumpe handeln. Deshalb spricht man ganz allgemein von der technischen Arbeit \(W_t\), die das offene System insgesamt aufzuwenden hat (z.B. bei Pumpen) oder abzugeben hat (z.B. bei Turbinen). Die technische Arbeit wird von offenen Systemen in der Regel kontinuierlich umgesetzt. Diese Energieumsetzung geschieht häufig über Wellen. So wird bei Pumpen die technische Arbeit über die Pumpenwelle zugeführt und bei Wasserturbinen über die Turbinenwelle abgeführt. Aus diesem Grund wird die technische Arbeit auch häufig als Wellenarbeit bezeichnet.
\begin{align}\;\;\;\;\;
\label{8918}
&W_{t} = W_D+W_B+W_H+W_{Diss} \\[5px]
\label{e8761}
&\boxed{W_{t} = \int\limits_{p_1}^{p_2}V(p)~\text{d}p + \tfrac{1}{2}~m~\Delta c^2 + m~g~\Delta z + W_{Diss}} ~~~~~\text{technische Arbeit} \\[5px]
\end{align}
bzw. als spezifische technische Arbeit \(w_t\) ausgedrückt:
\begin{align}\;\;\;\;\;
\label{9228}
\boxed{w_{t} = \int\limits_{p_1}^{p_2}v(p)~\text{d}p + \tfrac{1}{2}~\Delta c^2 + g~\Delta z + w_{Diss}} ~~~~~\text{spezifische technische Arbeit}
\end{align}
Interaktive Abbildung: Technische Arbeit eines offenen Systems
Schließlich kann die technische Leistung \(P_t\) aus der spezifischen technischen Arbeit \(w_t\) multipliziert mit dem Massenstrom \(\dot m\), der durch das offene System bewegt wird (siehe zur Herleitung auch den Abschnitt Verschiebeleistung):
\begin{align}\;\;\;\;\;
\label{4794}
\boxed{P_t = w_t~\dot{m}}
\end{align}
Beachte, dass die in den oberen Gleichungen angegebenen Strömungsgeschwindigkeiten \(c\) und Höhen \(z\) jeweils an den offenen Systemgrenzen definiert sind, d.h. also dann wenn die betrachtete Masse in den Kontrollraum ein- bzw. ausströmt. Dies gilt im Übrigen auch für die angegebenen Drücke in der Druckänderungsarbeit. Diese Größen sind immer an den Kontrollraumgrenzen definiert [fahre hierzu auch mit der Maus über die oberen Abbildungen].
Je nach Wahl der Systemgrenze, können sich somit gänzlich unterschiedliche Werte für die jeweiligen Größen ergeben. So wäre es auch möglich, das gesamte Schlauchsystem und den Wassertank noch in die Betrachtung als Teil des offenen Systems miteinzubeziehen. Die Systemgrenzen wären dann an der Oberfläche des Wassertanks und am Düsenende [fahre hierzu mit der Maus über die Abbildung]. Dieser Betrachtung lägen folglich ganz andere Drücke, Volumina, Strömungsgeschwindigkeiten und Lagehöhen an den beiden offenen Systemgrenzen zugrunde!
Abbildung: Kontrollraumgrenzen (Systemgrenzen)
Anmerkung: Bisher wurden als offene Systeme lediglich Pumpen bzw. Verdichter betrachtet. Diese werden unter Aufwand von technischer Arbeit betrieben. Das Prinzip kann aber auch umgekehrt werden, d.h. offene Systeme können auch technische Arbeit nach außen abgeben. Eine solche Umsetzung findet sich zum Beispiel in durchströmten Wasserturbinen oder Dampfturbinen wieder. Diese geben über die Turbinenwelle mechanische Arbeit nach außen ab. Die bisher betrachteten Gleichungen können prinzipiell für jedes offene System angewandt werden.